Dienstag, 12. Juni 2018

Boxenhaltung für Pferde - und ihre Schäden für das Lauftier Pferd

Assalamu aleikum,


aufgrund meiner eigenen Erfahrungen und vielen Recherchen in Fachzeitschriften, Büchern und Internet möchte ich einen kleinen Text verfassen zum Thema Boxenhaltung für Pferde. Vorab möchte ich erwähnen, dass es natürlich ein Unterschied ist, ob ein Pferd in einer luftigen Paddockbox nur nachts steht, und JEDEN Tag bei JEDEM Wetter rauskommt, oder ob wirklich 23h Boxenknast angesagt ist. Auch muss man immer den Einzelfall berücksichtigen. 



Einsam hinter Gittern - so sieht das Leben leider für viele Pferde aus.


Im Allgemeinen kann man jedoch sagen, dass jedes normale gesunde Pferd (und das sind die meisten) in einer naturnahen Haltung am gesündesten und glücklichsten ist. Pferde sind Herden- und Steppentiere, in freier Natur legen sie viele Kilometer am Tag zurück auf der Suche nach Futter und Wasser. 24 Stunden Weidehaltung auf unseren fetten deutschen Wiesen ist daher auch nicht für jedes Pferd geeignet. Hochblütigere, große Pferde, die viel geritten werden, sind mit einer Ganzjahreswiese durchaus gut bedient und gesund und zufrieden. Bei Ponys, besonders Isländern, Haflingern und Shettys, muss man aber aufpassen, die werden nämlich schnell zu dick, wenn sie immer frisches Gras zur Verfügung haben, und das führt zu Hufrehe. Für diese Pferde ist eine Paddockhaltung (große Fläche mit freiem Auslauf und Heu und Stroh als Futter) und begrenzte Weidezeit meist besser geeignet.
Es geht hier aber allgemein darum, dass ein Pferd viel AUSLAUF, LICHT, LUFT, WIND und BEWEGUNG braucht, sei es nun auf einer weitläufigen Sand- und Erdfläche oder auf der Wiese. Die Pferde sind dem Wetter ausgesetzt, können sich frei bewegen, wälzen, galoppieren oder einfach dösen. Auch wenn sie teilweise "nur rumstehen" wie manche Leute behaupten, es ist ein Unterschied ob man nicht laufen WILL oder nicht laufen KANN.

Lasst mich dies an einem Beispiel verdeutlichen. Stellt euch vor, ihr habt einen riesigen großen Garten, mit frischer Luft und blauem Himmel. In einer Ecke dieses Gartens steht ein Gartenhaus. Es ist klein, eng und stickig. 
Deswegen werdet ihr lieber vor dem Haus im Garten sitzen oder auf der Terrasse. Ihr werdet nicht die ganze Zeit durch den Garten rennen, aber das braucht ihr auch nicht, denn wenn doch, könntet ihr es jederzeit tun. Ihr habt frische Luft, seht in die Ferne, nehmt Wetter und Wind wahr. 
Stellt euch nun vor, ihr müsstet stattdessen den ganzen Tag in diesem kleinen engen Gartenhaus verbringen, dass nur so groß ist das ihr euch um eure eigene Achse drehen könnt. Das Fenster ist vergittert. 

Vielleicht versteht ihr jetzt, wie sich das Boxenpferd fühlen muss, und wie sich das Weidepferd fühlt... Dazu kommt, dass Pferde ganz andere Bedürfnisse haben als wir Menschen. Menschen wollen eine Höhle haben, einen windgeschützten Ort, an dem sie es sich gemütlich machen und trocken sind. Pferde wollen genau das Gegenteil. Sie wollen eine freie weite Fläche haben und in die Ferne blicken können, um bei drohender Gefahr sofort fliehen zu können: Sie möchten die Witterung wahrnehmen, den Regen auf ihrem Fell spüren, die Sonne und den Wind. All das wird ihnen im Stall genommen. Die ein bis acht Stunden, die das Tier am Tag draußen ist, erleichtern ihm diese Qual, aber sie sind niemals ein Ersatz. Auch ein Pferd, welches (nach menschlichen Zeitauffassungen und Bedürfnissen übrigens) von acht Uhr morgens bis vier Uhr nachmittags auf die Weide kommt, steht immerhin SECHZEHN STUNDEN auf engstem Raum, seiner Freiheit beraubt! Der Grund, warum viele Pferde "freiwillig" in die Box laufen, ist nicht die Box, sondern das Futter, welches als Lockmittel in der Box liegt, und vielleicht der Kumpel nebenan. 
Warum sollten Pferde überhaupt nachts in die Box? Pferde schlafen oder ruhen nachts nicht. Sie schlafen über Tag und Nacht verteilt nur sehr wenige, einzelne Stunden. Sie sind nicht wie wir Menschen, die abends um zehn ins Bett gehen und morgens um sechs aufstehen.



Traurig und verängstigt schaut dieses Pferd aus seiner kleinen Box.



Durch das viele Stehen, die unnatürliche Futteraufnahme, die Einstreu (in der sich Ammoniak bildet durch Urin und Kot, und nein einmal täglich misten reicht da nicht aus), die schlechte Luft und wenig Licht entstehen zahlreiche Probleme, für die dann oft der teure Tierarzt, Osteopath oder Physiotherapeut gerufen wird. Dabei würden diese Probleme verschwinden, wenn man die Pferde nicht mehr in den goldenen Käfig sperren würde!  

Eine Liste der Probleme, die ihre Hauptursache in der Boxenhaltung haben: 

Koppen
Weben
Beißen
Schlagen
Rückenprobleme
Verspannungen
Hufkrankheiten
Faulheit
übertriebener Bewegungsdrang
psychisches Leiden
Schäden des Bewegungsapparates
Hufkrankheiten
Atemwegserkrankungen
...

Wenn hinzu noch eine schlechte Einstreu, zu viel Futter und mangelnde körperliche Arbeit dazukommt, kann man sich der Krankheit seines Pferdes sicher sein.



So sieht das klassische Bild eines Reitstalls aus - das Pferd im goldenen Käfig.




Mein Pferd und ich haben in unserem Leben schon viele Ställe gesehen und dort gelebt, von 20h Box über Laufstall und Paddockbox bis hin zur 24h Weide ohne Stall. Nur zu oft habe ich mir Beleidigungen anhören müssen... Dass ich mein Pferd barhuf reite sei eine Quälerei, mein Reitstil allgemein sei nicht angemessen, das Pferd würde zu viel geritten, das Pferd bräuchte einen richtigen Stall, das Pferd soll eine Decke haben, das Pferd gehört bei Regen und Schnee in die Box und nicht raus und und und und und...



Ob auf der Weide oder großen Paddocks - draußen sind Pferde am glücklichsten.



... das Erstaunliche ist jedoch, desto mehr ich genau das Gegenteil gemacht habe von dem was von mir verlangt wurde, desto besser ging es meinem Pferd: 
Mein Pferd steht jetzt 24h draußen auf der Weide, es ist Regen und Sturm schutzlos ausgeliefert, bekommt kein Kraftfutter außer wenn es gearbeitet hat, es läuft barhuf über Teer, Steine und Waldboden, es wird fast täglich geritten und zwar viel Galopp... und? Es geht ihm so gut wie nie zuvor! Die jahrelangen Rückenprobleme mit denen wir zu kämpfen hatten, sind verschwunden, ebenso ist mein Pferd viel ausgeglichener und gehorsamer geworden, lässt sich besser reiten und ist auch bei Eis und Schnee trittsicher im Gelände unterwegs. Allahumma baarik.  


Der Großteil der Pferde, vor allem Schulpferde und Turnierpferde, lebt heute in Boxen. Selbst ein Meerschweinchen in einem Käfig hat mehr Platz als das Lauftier Pferd in seiner Box. Das ist in etwa so, als wäre das Meerschweinchen dauerhaft in einer kleinen Transportbox (zB die für den Tierarzt) eingesperrt. 

Wenn es denn unbedingt die Boxenhaltung sein soll (oder muss), dann sollte die Box sehr groß, sauber und luftig sein, das Pferd sollte körperlichen Kontakt zu Artgenossen haben und einen Paddock, der an die Box anschließt oder mindestens ein großes (offenes!) Fenster. Zusätzlich dazu muss es täglich auf die Weide oder den Auslauf und bewegt werden. Nur so kann man einen Kompromiss schließen. 
Die Realität sieht in den meisten (Reit-)Ställen leider so aus, dass die Pferde nur in der Halle unter dem Reiter Bewegung haben, die Weide sehen sie höchstens Sonntags. 

Ein kleiner Nachtrag: Selbstverständlich kann es sein, dass es einzelne Pferde gibt, die sich im Offenstall nicht wohlfühlen. Dies kann z.B. alte, kranke oder rangniedrige Pferde betreffen. Hier lässt sich aber so eine Lösung finden, dass solchen Pferden dann ein Einzel-Paddock zur Verfügung gestellt wird, sodass sie Bewegung und frische Luft haben, aber trotzdem (zumindest nicht dauerhaft) nicht dem Stress in der Herde ausgesetzt sind. Auch ist es für viele Pferdebesitzer oft schwer, einen geeigneten Offenstall in der Nähe zu finden. Oder man hat einen gefunden, stellt dann aber später fest, dass, obwohl anders besprochen, das Pferd dann eben doch nicht den gewünschten Auslauf erhält. Hier muss sich niemand einen Vorwurf machen, da hilft es nur geduldig zu sein und nach einer besseren Lösung Ausschau zu halten. Generell gilt der Grundsatz: Desto mehr Auslauf, desto besser. 8 Stunden raus aus der Box sind besser als 2, und ganztägig draußen ist besser als 8 Stunden etc. Wer auch immer also die Möglichkeit hat, der sollte sich bemühen das Leben seines Pferdes so artgerecht wie möglich zu gestalten.





Kontakt zu Pferdekumpels ist wichtig für das Herdentier Pferd.

Wenn schon denn schon - eine große Box mit noch mehr Paddock kann ein Kompromiss sein.






Desto mehr Reitschulbetreiber, Pferdebesitzer und Reiter die Augen aufmachen und sich aktiv für eine naturnahe Haltung der Pferde einsetzen (und das werden Gott sei Dank immer mehr), desto mehr kann den Pferden geholfen werden. Es muss nicht gleich der teure HIT-Aktivstall sein - ein kleiner privater Offenstall oder eine große Weide beim Bauern reicht völlig aus - zumindest dem Pferd. Und auf dessen Bedürfnisse sollte man auch zuerst eingehen - und nicht auf die Bequemlichkeit und Luxuswünsche des Reiters.










5 Kommentare:

  1. Da gebe ich dir 100% recht! Leider wollen viele Reiter nicht wahrhaben, wie schädlich die Boxenhaltung ist und trauen sich keine Veränderungen zu. Was ich auch als Problem erachte ist, dass (zumindest in meiner Region) viele Offenställe/Ställe mit 24h Koppel keine oder sehr schlechte Trainingsmöglichkeiten bieten, was natürlich Sportreiter davon abhält ihren teuren Luxusstall zu verlassen. Ich habe auch oft gesehen, wie die Koppeln versumpfen und die Pferde auf verfettete Weiden gestellt werden, ohne ausreichend bewegt zu werden. Das ist natürlich auch nicht gut.
    Aber ich bin der festen Überzeugung, wenn man einen Offenstall professionell führt und auf Hygiene und Co achtet, evtl gute Trainingsmöglichkeiten hat oder ein Reitverein in nächster Nähe zum Training ist, diese Haltung optimal ist, egal ob für Freizeitpferd oder Turniersportler.
    Unwissende Pferdehalter gibt es ja überall, egal ob Turnierreiter oder Freizeitreiter. Wer fundiertes Wissen besitzt, muss aufklären. Das versuche ich immer, wenn ich mit Traditionen und Scheinwissen in Kontakt komme und wenn wir mehr nach solchen Ställen fragen, wird hoffentlich auch das Angebot erweitert. Aber das ist meiner Meinung nach die beste Lösung für die Zukunft :)

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    1. Das stimmt, natürlich reicht es nicht einfach das Pferd auf der nächstbesten Wiese abzustellen und gut ist... Je nach Pferd ist vielleicht halbtags Wiese/Paddock besser und auch ein Pferd, das auf der Weide steht sollte bewegt werden. Auch eine reine Weidehaltung entspricht nicht 100% der natürlichen Lebensweise der Pferde, in der sie deutlich mehr laufen, auf großen freien Flächen umherziehen etc... Aber dies ist natürlich nicht umsetzbar wenn man sein Tier als Reittier nutzen möchte - muss es aber auch nicht!

      Man sollte nur versuchen möglichst nah an dieses Ideal heranzukommen und den Pferden viele Freiräume ermöglichen sodass sie sich bei uns wohlfühlen... Im Gegensatz dazu müssen sie bei einer domestizierten Haltung keine Angst vor Raubtieren oder Futterknappheit haben - ein klarer Vorteil für die Pferde.

      Du sprichst die fehlenden Trainingsmöglichkeiten bei Offenställen an und das ist auch ein wichtiger Punkt finde ich, der sicher viele abhält ihr Pferd so zu halten.. Es muss nicht gleich Reithalle und Solarium sein aber ein vernünftiger Reitplatz und eine überdachte Stelle mit festem Boden wo man sein Pferd anbinden und putzen kann, sind schon viel wert:-)

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    2. Hey, ich bin Malin.. meiner Mutter gehört ein Offen- und Aktivstall und wir machen gerade ein YouTube Video über unsere Haltungsform und wollten gerne in Vergleich ein Bild von der Boxenhaltung zeigen. Daher wollte ich fragen ob du die Urheberrechte für die Bilder hast und ob ich eventuell eines verwenden dürfte ?
      Liebe Grüße
      Malin ;)

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    3. Hey, ich bin Malin.. meiner Mutter gehört ein Offen- und Aktivstall und wir machen gerade ein YouTube Video über unsere Haltungsform und wollten gerne in Vergleich ein Bild von der Boxenhaltung zeigen. Daher wollte ich fragen ob du die Urheberrechte für die Bilder hast und ob ich eventuell eines verwenden dürfte ?
      Liebe Grüße
      Malin ;)

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    4. Hallo Malin,

      die Bilder habe ich bei Pinterest und Google Bilder gefunden und ich weiß leider nicht, woher sie ursprünglich kommen. Teilweise sind sie schon mehrmals kopiert worden und es ist schwer herauszufinden, von wem sie ursprünglich sind. Ich persönlich habe somit natürlich auch keine Einwände, dass du sie benutzt :-)
      Oft mache ich die Bilder auch selber, das ist dann meistens deutlich zu erkennen :-D habe auch geplant, demnächst die Quellen unter den Bildern zu vermerken.
      Du kannst dein Youtube video über den Offenstall auch gerne hier unter diesen Artikel als Kommentar posten, vllt wird ja jemand von euch inspiriert :-)

      Liebe Grüße
      Layla

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